Alles fühlte sich wie nach einem Date-Abend an
„Ich freue mich auf deine Geburt“, sagte Verena, meine Hebamme, als wir etwa zwei Wochen vor der Geburt telefonierten. Sie hatte es die letzten Wochen immer wieder über mich ausgesprochen. In einem freudigen Ton, als ob wir gemeinsam eine wunderbare, langersehnte Bergwanderung oder einen Urlaub am Meer planten und es endlich bald losgehen würde.
Diese Worte ermutigten mich so sehr, dass ich den Geburtstag unserer Tochter wirklich vor Vorfreude kaum erwarten konnte. Ich wollte das Erlebnis Hausgeburt endlich erfahren. Die Planung lief ja tatsächlich schon seit Monaten - etwa acht Mal hatten wir uns getroffen, viel gesprochen und vorbereitet. Ich hatte dadurch meine Bindung zu unserem Baby total stärken können und Ängste abgebaut. Bei jedem Treffen ertastete sie mit ihren Händen die Lage unserer Tochter - das gab mir wiederum so viel Vertrauen in ihre Fähigkeit, unser Baby beim Auszug aus dem Bauch sicher zu begleiten.
Bereits einige Wochen zuvor, hatte ich den Vorschlag von Verena umgesetzt und einen sehr detaillierten zweiseitigen Geburtsbericht verfasst. So als ob die Geburt abgelaufen wäre. Große Schwester noch schlafen gelegt, 2 Stunden Wehen, um 22.00 geboren, ohne Verletzung, Friede, Ruhe, der unglaublich prägende Moment des ersten Blicks in ihre Augen - waren die konkreten Details, die ich mir ausgemalt hatte. Der entscheidende Punkt war, dass ich keine Wünsche aufschreiben, sondern im Glauben Jenes aussprechen sollte, das ich erleben wollte als sei es schon geschehen.
Eine gute Woche vor der Geburt überraschten mich drei Freundinnen mit einem Baby-Feier-Brunch. Sie hatten die köstlichsten Speisen mitgebracht und standen an unserer Haustür mit den Worten: „Es ist für alles gesorgt“. Dieser Satz begleitete mich die nächsten Tage immer wieder. Wenn negative Gedanken kamen, sprach ich ihn laut aus und entschied mich, zu vertrauen.
Und dann war es so weit. In der Nacht auf den 23.11. erwachte ich um ca. 3.00 mit einer nassen Hose: Die Blase hatte zu tropfen begonnen. Nach einem Anruf und Gespräch mit Verena, legte ich mich wieder beruhigt mit meinem Mieder um die Hüften ins Bett und versuchte zu schlafen. Den Mann hatte ich in der Aufregung auch geweckt. Also versuchten wir Beide vergeblich wieder einzuschlafen. Unsere Bergwanderung begann nun endlich.
Verena besuchte mich am Vormittag. Zwei große Taschen hatte sie dabei. Ich hatte einen Korb mit Material vorbereitet. Das war alles. Sie untersuchte mich - eine von nur zwei Untersuchungen. „Da hat jemand sehr viele Haare“, sagte sie mit einem freudigen Lachen. Von nun an wusste ich: „meine Tochter ist ja bereits zum Greifen nahe“.
Anschließend bekam ich einen Einlauf, um den Darm zu entleeren und dem Körper zu helfen, die Wehen einzusetzen. Verena verließ uns zu Mittag noch einmal. Eine Tasche blieb schon bei uns. Langsam spürte ich nun ein leichtes regelmäßiges Ziehen.
Als ich mich am Nachmittag eine Stunde ins Bett legte, wurde das Ziehen stärker und kam alle 15 Minuten. Da die Wehen gegen 18.00 alle 8 Minuten kamen, informierte ich Verena. Sie erreichte uns etwa eine Stunde später, als ich unsere große Tochter gerade in den Schlaf begleitete. Wir lagen im Bett und ich versuchte „Lotta“ von Astrid Lindgren vorzulesen. Alle paar Minuten kam nun eine Welle, die bereits so intensiv war, dass ich bewusst atmen und tönen musste. Plötzlich sagte unsere Große: „Mama, ich will jetzt schlafen. Aber in der Nacht sollst du aufhören mit diesem Atmen. Morgen kannst du damit weitermachen. Und Verena soll im Wohnzimmer übernachten. Morgen soll Leni dann kommen.“ Ich erzählte ihr, dass Leni sicherlich einen wunderbaren Moment aussuchen würde, für die Geburt. Dann atmete ich zur nächsten Wehe so still wie möglich. Und die Große war eingeschlafen.
Im Wohnzimmer warteten Verena und mein Mann plaudernd auf mich. Ich zog ein paar Runden und atmete still. Dann schaltete ich meine vorbereitete Playliste mit Lobpreisliedern ein, die ich die ganze Schwangerschaft gehört hatte. Ich zündete Kerzen an, mein Mann hatte Feuer im Ofen entfacht - alles fühlte sich wie nach einem Date-Abend an. Der Raum war mit einer großen Ruhe erfüllt.
Um etwa 21.00 legte ich mich seitlich aufs Sofa. Verena massierte den Schmerz am unteren Rücken bei jeder Welle und legte ein warmes Kirschkernkissen auf. Mein Mann lüftete immer wieder, brachte mir einen kalten Waschlappen für die Stirn und Wasser. Die Wehen wurden intensiver und kamen knapper. Nachdem ich mit Verenas Begleitung noch einmal die Blase am Klo entleerte, untersuchte sie mich zum zweiten und letzten Mal an diesem Tag - der Muttermund war völlig geöffnet. Halleluja! Der Auszug aus dem Bauch in unsere Arme konnte beginnen.
Nun spürte ich Lenis Kopf ganz deutlich nach unten drücken. Mit jeder Welle schob mein Körper sie weiter hinaus - was für ein Wunderwerk mein Körper doch ist. Ich ließ mich in diese Bewegung einfach fallen und mitreißen. Ich ließ bewusst zu, dass der Kopf weiter nach unten konnte. Beim Ausatmen tönte ich, öffnete und lockerte meinen Mund dabei. Das half mir, auch das Becken zu lockern. Ich gab die Kontrolle ab. In jeder Wellen-Pause entschied ich mich erneut, meinem Körper zu vertrauen. Immer wieder sprach ich in meinen Gedanken einen der Verse aus, die ich übers Sofa gehängt hatte: „Du bist meine sichere Burg. Du wirst mir entgegenkommen mit deiner Gnade.“ (Psalm 59,10+11)
Mit jeder Welle verspürte ich ganz bewusst diese innerliche Entscheidung: „du darfst kommen Baby, ich freue mich auf dich“. Mit jeder Welle kam ich ihr näher, meiner geliebten Leni. Als die Wellen ihren Höhepunkt erreicht hatten und ich den Drang zum Pressen spürte, wurden die Pausen dazwischen etwas länger. Ich musste immer wieder lachen, weil ich die Intensität der Wellen und das Loslassen einfach so krass erlebte - in einer positiven Art. Ja auch schmerzhaft, aber gleichzeitig gewaltig schön, befähigend und befreiend. Als ein ganz bestimmtes Lobpreislied meiner Playlist in einer Wellen-Pause abgespielt wurde, weinte ich und ließ die Tränen frei heraus. Die Zeile „you make wrong things right“, berührte mich in diesem Moment so sehr. Es fühlte sich so überwältigend an, nur wenige Minuten davon entfernt zu sein, mein Baby in den Armen halten zu dürfen. Wie lange hatte ich auf sie gewartet und nun war es soweit. Die letzten Wellen kamen. Es war weniger ein Pressen, sondern wieder dieses Zulassen des Drucks nach unten und ein Mitgehen mit dieser Schub-Bewegung des Körpers.
Zum Song „Waymaker“ von Leeland, kam meine Tochter völlig heraus. Sofort durfte sie auf meiner Brust liegen. Mein Mann ist da. Zum ersten Mal schauen wir in ihre wunderschönen Augen. Wir sehen uns in ihr wieder. Wir sind überglücklich und dankbar. Nach einiger Zeit kommt die Plazenta ganz ohne Probleme nach. Ich merke es kaum. Alles ist so sanft abgelaufen. Mein Baby findet die Brust. Sie saugt und trinkt. Ich zittere und bin erschöpft, aber gleichzeitig voller Stärke und Freude.
„Ja mit Freuden ist mein Baby ausgezogen und in Frieden wurde sie geleitet.“ Diesen Vers (nach Jesaja 55,12), hatte ich direkt über meinem Kopf, als unsere Tochter geboren wurde. Alle wichtigen Details meines Geburtsberichtes waren in Erfüllung gegangen: Ich war so voller Friede und hatte keinen Moment Panik verspürt, unsere große Tochter schlief die ganze Zeit, ich wurde nicht verletzt. Leni ist um 21:56 geboren. Sogar die Uhrzeit passte. Wie krass ist das denn?!